Gretel Raab

Erinnerungen eines Mädchens aus Bessarabien

Weihnacht 1941 in Litzmannstadt

Im November war es soweit. Mama läßt eine große Holzkiste beim Schreiner machen, da kommen unsere bescheidenen Habseligkeiten hinein. Ein Bauer aus Grundfeld fährt uns nach Lichtenfels zur Bahn. Natürlich haben wir uns in Vierzehnheiligen von allen Bekannten verabschiedet.

Von den Klosterschwestern hatte ich Solana am liebsten. Sie war Kinderschwester und hatte immer ein offenes Ohr, wenn wir Probleme hatten. Wenn es uns dort nicht gefällt könnten wir ja wieder kommen, meinte sie. Das hat mich sehr getröstet, denn Erna und ich wollten nicht weg. Wir hatten schöne Kindertage im Kloster.

Es war eine weite Reise bis Litzmannstadt. Von da ging es mit der Straßenbahn bis Tuschiner Wald. Aber mit unserem vielen schweren Gepäck war es unmöglich in die Straßenbahn zu kommen. Der Bahnhofsvorsteher schickte uns einen Militärlastwagen und so kamen wir müde und hungrig im Lager an.

Die Lebensmittelzuteilung war sehr knapp und Hunger unser ständiger Begleiter. Bekannte und Verwandte gaben uns den Tipp, in die umliegenden Dörfer zu gehen, da gab es Sauerkraut und manchmal ein paar Kartoffeln zu kaufen. Aber immer Sauerkraut - wir kamen kaum noch vom Klo - was sowieso eine Tortur war, denn das war im Freien, ein Bretterverschlag und nannte sich Latrine.

Anfang Dezember schreibe ich einen Brief an Schwester Solana, denn sie hatte mich gebeten über unsere Reise zu berichten. Unter anderem schieb ich, daß es uns gut geht, aber immer Hunger haben. Ich habe nicht damit gerechnet, daß sie antwortet. Es war kurz vor Weihnachten. Erna und ich kommen gerade von der Krankenstation, wo wir uns seit einiger Zeit immer um die Mittagszeit aufhielten. Da gab es Grießbrei für alte Leute und kleine Kinder. Wir warteten, bis die alten fertig waren, haben Geschirr gespült und die Reste von den Tellern gegessen. Wenn ich heute daran denke, würgt es mich in meinem Hals, aber der Hunger war so groß, daß man sich Ekel nicht leisten konnte.

Mama erwartet uns an der Baracke. Sie jubelt: "Kinder, wir haben ein Paket aus Vierzehnheiligen". Erna und ich haben vor Freude Purzelbäume geschlagen. Inhalt: 3 große Brote, 3 Stücke Butter und eine Tüte Bonbon. Diese Freude und genau zu Weihnachten. Endlich richtiges Brot, das wir so gerne in Vierzehnheiligen gegessen haben. Das war ein schönes Weihnachtsfest!
© 2006 Stefan Germer